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Inhalt zuletzt aktualisiert am: 15.02.2024

Vortrag von Holger Kiesel, Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Landrat, liebe Anwesende, liebe Gäste,

zunächst einmal möchte ich mich für die Einladung ins schöne Mindelheim ganz herzlich bedanken und für die Gelegenheit, hier ein paar Worte zu mir, meiner Arbeit und den Entwicklungen in Bayern rund um Barrierefreiheit, Inklusion und Teilhabe von Menschen mit Behinderung sagen zu dürfen.

Lassen Sie mich allerdings eines vorwegschicken, nur um zu vermeiden, dass Ihrerseits vielleicht falsche Erwartungen entstehen bezüglich dem, was ich hier und heute leisten kann. Da ich kein Mitglied des Kabinetts bin, sondern sozusagen externer Regierungsberater, kann ich Ihnen leider hier nicht eins zu eins die konkreten Pläne der Staatsregierung rund um die genannten Themen präsentieren. Sondern ich kann Ihnen lediglich das Bild widerspiegeln, das sich für mich aus den zahlreichen Gesprächen mit der Politik, den Vertreterinnen und Vertretern der Vereine und Verbände, der Leistungs- und Kostenträger, aber vor allem mit den Menschen mit Behinderung im Land ergibt. Und Ihnen meine Schlussfolgerungen daraus mitteilen. Für diese Grenzen meines Amtes bitte ich Sie hiermit vorab um Ihr Verständnis.

Nun aber zunächst einige Worte zu meiner Person und den Aufgaben meines Amtes: Mein Name ist Holger Kiesel, ich bin 49 Jahre alt, geborener Niederbayer und von Geburt an Spastiker und deshalb auf den Rollstuhl angewiesen. Nach meinem Studium der Germanistik, Geschichte und Politikwissenschaft habe ich 17 Jahre lang beim Bayerischen Rundfunk als Journalist gearbeitet, bevor ich Anfang 2019 mein Amt als Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung angetreten habe.

Gerade vor zwei Monaten wurde ich für weitere fünf Jahre in diesem Amt bestätigt.

Meine Tätigkeit als Beauftragter gliedert sich im Wesentlichen in drei Hauptaufgaben:

  1. Die Beratung der Bayerischen Staatsregierung – also aller bayerischen Ministerien und des Ministerpräsidenten – in allen Fragen rund um Inklusion, Teilhabe und Barrierefreiheit. Zur Ehrlichkeit gehört an dieser Stelle: Der Wille, sich beraten zu lassen ist in den einzelnen Häusern und bei den verschiedenen Personen sehr unterschiedlich ausgeprägt.
  2. Die Einbindung in den Gesetzgebungsprozess.
    Alle neuen und zu überarbeitenden Vorschriften, die Menschen mit Behinderung betreffen, sollen mir und meinem sechsköpfigen Team vorgelegt werden, damit wir unsere Anmerkungen dazu machen können. Wichtig dabei zu wissen: Wir können hier nur Vorschläge machen, keine Weisungen geben. Und auch hier gilt: Man muss sein Recht, eingebunden zu werden, schon auch immer mal wieder aktiv einfordern.
  3. Mein Team erreichen jedes Jahr etwa 1000 Eingaben von Bürgerinnen und Bürgern mit Behinderung, ihren Angehörigen oder auch von Institutionen wie zum Beispiel Schulen mit Problemanzeigen aus allen Lebensbereichen. Hier versuchen wir, die richtige Ansprechperson zu finden, zu vermitteln bzw. strukturelle Probleme herauszufiltern und an die Politik weiterzuspiegeln. Rechtsberatung dürfen wir nicht machen.

Grundsätzlich sehe ich mich bei allen meinen Aufgaben als Bindeglied zwischen der Politik und den Menschen mit Behinderung mit ihren Angehörigen sowie Vertreterinnen und Vertretern. Deshalb ist für mich auch der Austausch mit anderen Beauftragten – sowohl auf kommunaler Ebene, so wie hier heute, als auch auf der Ebene der anderen Bundesländer und des Bundes – besonders wichtig.

Auch regelmäßige Kontakte in die Verbandslandschaft sind für meine praktische Arbeit unerlässlich. Schließlich vertrete ich in meinem Amt ja nicht meine persönlichen Belange, sondern die – übrigens oft recht unterschiedlichen und manchmal sogar widersprüchlichen – Interessen der Menschen mit Behinderung in Bayern.

Nun aber von mir und meinem Amt zu ein paar konkreten Themen:

Lassen Sie mich Ihnen an einigen Beispielen verdeutlichen, wo ich in den Bereichen Teilhabe und Inklusion persönliche Schwerpunkte setze bzw. besonderen Nachholbedarf sehe:

Thema Barrierefreiheit

Für dieses Themenfeld ist das Jahr 2024 sicherlich ein ganz besonderes und entscheidendes. Mit 2023 endete ja, wie Sie wahrscheinlich alle wissen, der vom damaligen Ministerpräsidenten Horst Seehofer 2013 ausgerufene Zehn-Jahres-Zeitraum, in dem Bayern im gesamten öffentlichen Raum barrierefrei werden sollte. Klar ist: Wir haben zwar mit dem Programm „Bayern barrierefrei“ ein bundesweit einzigartiges und aus meiner Sicht auch durchaus vorbildhaftes Instrument zur Umsetzung dieses ehrgeizigen Zieles.

Erreicht wurde es aber – für Viele vermutlich wenig überraschend – dennoch nicht.

Das sollte uns aber keinesfalls entmutigen: Wir haben dennoch einiges geschafft und müssen jetzt umso dringender weiter an den noch nicht erreichten Zielen dranbleiben – und uns gleichzeitig neue setzen. Ich persönlich würde mir dabei übrigens durchaus neue konkrete Zeitvorgaben wünschen.

Wenn die Politik hier permanent nur von einer „Daueraufgabe“ spricht, ist das zwar natürlich sachlich richtig – aber für den notwendigen Druck auf alle Beteiligten, um zügig weiter voranzukommen, dürfte das auf Dauer wohl kaum ausreichen. Wir kennen das doch: Wenn es etwas fertigwerden soll, hilft oft eine fixe Deadline. Wobei man mit dem Thema Barrierefreiheit natürlich nie in dem Sinne „fertig“ ist, das versteht sich.

Grundsätzlich ist Barrierefreiheit natürlich in allen Bereichen die unabdingbare Voraussetzung für Teilhabe und Inklusion. Dennoch möchte ich hier drei Punkte besonders hervorheben, die mir für die nächsten Jahre besonders dringlich erscheinen:

  1. Die stärkere Einbindung der Privatwirtschaft bei dem Thema. Geschäftsleute und Unternehmen müssen aus meiner Sicht noch mehr bei der Umsetzung von Barrierefreiheit informiert, unterstützt, aber dann eben auch entsprechend in die Pflicht genommen werden. Ich fürchte, freiwillige Selbstverpflichtung alleine genügt hier langfristig nicht.
  2. Der Gesundheitssektor. Die Zahl der barrierefreien Arztpraxen ist unzureichend. Auch im Therapie- und Klinikbereich herrscht nach wie vor, vor allem im Bestand, großer Nachholbedarf.
    Auch die Regelungen zur Assistenz im Krankenhaus müssen zügig in eine für alle Beteiligten umsetzbare Praxis überführt werden. Außerdem muss Personal im gesamten Gesundheitsbereich bereits in der Ausbildung mehr über Menschen mit Behinderung erfahren. Und: all diese politischen Ziele dürfen nicht am Ende an Selbstverwaltungsstrukturen – etwa bei den Krankenkassen - scheitern.
  3. Der Verkehrsbereich. Was wir hier aus meiner Sicht brauchen, sind einheitliche barrierefreie Lösungen für ganz Bayern – über Stadt-, Landkreis- und vor allem auch Zuständigkeitsgrenzen hinweg. In Kooperation aller Kommunen, aller Verkehrsunternehmen, der Deutschen Bahn und vieler Beteiligter auf allen Ebenen mehr.

Thema Schule

Ich gebe es an dieser Stelle von Anfang an unumwunden zu: Schule ist eines der dicksten, vielleicht sogar das dickste Brett, das es im Rahmen meiner umfangreichen Aufgabe zu bohren gilt. Hier treffen wohl besonders viele verschiedene Sensibilitäten und sehr unterschiedliche Interessen aufeinander.

Verständlich: Denn Fehler, die in dieser Lebensphase gemacht werden, sind oft nur sehr schwer wieder zu korrigieren.

Ich kann hier und heute aufgrund der erwähnten Grenzen meines Amtes leider keine Aussagen zu langfristigen Schulentwicklungsplänen der Staatsregierung machen, sondern nur meine persönliche Einschätzung wiedergeben: Wir sind von der gesetzlichen Vorgabe, dass Inklusion „Aufgabe aller Schulen in Bayern“ ist, stellenweise noch sehr weit entfernt. Das verursacht vielerorts verständlichen Frust bei allen Beteiligten und geht häufig zu Lasten der Schülerinnen und Schüler.

Wo liegt nun die Lösung der oft sehr vielschichtigen Probleme? Nun, bei so einem komplexen Gebilde, wie es unsere Schullandschaft ist, geht es sicher nicht nur um ein einzelnes Schräubchen, an dem mal eben gedreht werden könnte. Geld, Personal, Zuständigkeiten, Strukturen, Haltung – zahlreiche Faktoren spielen hier eine Rolle.

Um konkretere Antworten zu finden, wie wir unser Schulsystem erfolgreich inklusiver gestalten können, habe ich in den letzten Monaten sieben der momentan acht inklusiven Bildungsregionen in Bayern besucht – unter anderem auch die älteste, gar nicht weit von hier entfernte, nämlich Kempten. In allen diesen Regionen versucht man, konkrete Wege zu mehr schulischer Inklusion in Bayern zu finden.

Ich habe in den verschiedenen Regionen viele tolle Projekte und noch mehr engagierte Beteiligte gesehen – und es haben sich durchaus Faktoren herauskristallisiert, die für ein inklusiveres Schulsystem in ganz Bayern von Bedeutung sein dürften:

  • Ein stabiles Netzwerk aus den verschiedenen Schulen und alle involvierten Behörden mit möglichst fixen Ansprechpersonen
  • Die Einbindung von Playern auch außerhalb der Schulfamilie, z.B. Jugendhilfe und Jugendarbeit
  • Zeitliche Freiräume für die notwendige Vernetzung
  • Strukturelle Faktoren wie zwei Lehrkräfte pro Klasse, kleine Klassen, flexible Unterrichtsformen

Ein schriftlicher Bericht mit den Erkenntnissen aus meinen Besuchen vor Ort und Projektbeispielen aus Kempten, Augsburg, Weilheim/Schongau, Landshut, Tirschenreuth, Ansbach, Aschaffenburg/Miltenberg und Hof erscheint demnächst. Mein Ziel ist es, dass auch andere Regionen von diesen Erkenntnissen profitieren können und gute Beispiele bayernweit sprichwörtlich Schule machen können. Denn die Verantwortlichen in den inklusiven Regionen möchten ihre Erfahrungen teilen. So können andere Gutes übernehmen bzw. auf lokale Bedürfnisse anpassen. Und sie müssen schon einmal gemachte Fehler nicht wiederholen.

Aber dazu brauchen sie, auch das meine Besuche gezeigt, mehr Unterstützung aus der Politik. Erfreulicherweise höre ich aus dem Kultusministerium, dass das Konzept der inklusiven Regionen möglicherweise ausgebaut werden soll. Mir scheint das jedenfalls ein denkbarer Weg hin zu dem Ziel, allen Schülerinnen und Schülern passgenauer als bisher die für sie individuell beste Form der Beschulung anzubieten.

Thema Wohnen

Das Thema Wohnen gehört schon seit längerem zu den Themen, die mir in meiner Arbeit mit am meisten Sorgen machen. Regelmäßig erreichen uns Notrufe von verzweifelten Familien, die keine Wohnmöglichkeit mehr für ihre Angehörigen mit Behinderung finden. Natürlich können wir die riesigen dahintersteckenden gesamtgesellschaftlichen Probleme wie den massiven Wohnraum- oder Personalmangel nicht alleine lösen. Dennoch haben wir in dem Projekt „Inklusives Wohnen in Bayern stärken“, gemeinsam mit über 50 Personen, vor allem aus der Praxis des inklusiven Wohnens, einen Forderungskatalog erstellt, der helfen soll, die Bedingungen gerade für kleinere inklusive Wohnprojekte in Bayern zu verbessern.

Dabei geht es um bessere gesetzliche Rahmenbedingungen und eine stärkere finanzielle Unterstützung ebenso, wie um Bürokratieabbau und eine gesetzlich festgelegte Quote für rollstuhlgerechte Wohnungen. Der Katalog wurde vergangenen November an die Sozialministerin übergeben.  

Thema Arbeit

Beim Thema Arbeit hat der Bundesgesetzgeber in den letzten Monaten und Jahren aus meiner Sicht viel Richtiges und Wichtiges auf den Weg gebracht:

  • Die Schaffung der Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber hat ein zentrales Instrument etabliert, wo Arbeitgeber sich unkompliziert und niedrigschwellig zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderung informieren können.
  • Die Einführung einer vierten Stufe der Ausgleichsabgabe -in doppelter Höhe des bisherigen Höchstsatzes - erhöht den Druck auf die Unternehmen, die bislang noch nicht einen einzigen Menschen mit Behinderung angestellt haben, obwohl sie aufgrund ihrer Größe beschäftigungspflichtig sind.
  • Dass zukünftig keine Werkstattmaßnahmen mehr aus der Ausgleichsabgabe finanziert werden dürfen, ist aus meiner Sicht ebenfalls ein richtiger Schritt.
    Denn dadurch wird die Abgabe wieder stärker auf ihren eigentlichen Zweck fokussiert: Die Förderung von Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Trotz all dieser Maßnahmen sind wir, meiner Ansicht nach, noch weit von einem wirklich inklusiven Arbeitsmarkt entfernt. Weitere Schritte zur aktiven Bewusstseinsbildung bei den Arbeitgebern, aber auch in der gesamten Gesellschaft, sind deshalb dringend erforderlich. Helfen können hier beispielsweise auch inklusive Jobmessen. Im vergangenen Jahr hat etwa eine solche Messe mit großem Erfolg in Regensburg stattgefunden – und wird daher auch am 16. Mai dieses Jahres wiederholt. Und auch in Ingolstadt wird es jetzt am 15. März eine solche Veranstaltung geben.

Und auch meine Geschäftsstelle und ich tragen zusammen mit dem Bayerischen Sozialministerium zusammen dazu bei, Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu fördern. Heuer bereits zum siebzehnten Mal verleihen wir am 24. Juli im Haus der Bayerischen Wirtschaft in München den Inklusionspreis JobErfolg an Unternehmen, die sich besonders für die Inklusion von Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben einsetzen.

Seit Jahren schon gibt es dabei drei Kategorien: Ein Preis wird verliehen an einen Arbeitgeber im öffentlichen Dienst, einer an ein Unternehmen in der Privatwirtschaft und darüber hinaus geht ein Ehrenpreis in der Regel an einen kleinen Betrieb, der eigentlich nicht beschäftigungspflichtig wäre, sich aber trotzdem besonders für die berufliche Inklusion von Menschen mit Behinderung engagiert. Und bei der letzten Verleihung ist nun noch eine weitere Kategorie dazugekommen: Der Innovationspreis zeichnet digitale, technische oder andere Neuerungen aus, die Menschen mit Behinderung das Arbeiten erleichtern oder gar erst ermöglichen. Für dieses Jahr ist die Bewerbungsfrist zwar leider schon rum, aber schon im kommenden Jahr können sich interessierte Arbeitgeber wieder für 2026 bewerben. Infos dazu finden Sie auf der Webseite des Zentrums Bayern Familie und Soziales. Ich kann Ihnen jedenfalls sagen: Wenig bringt aus meiner Sicht die Inklusion auf dem Arbeitsmarkt effektiver voran als gute Beispiele engagierter Arbeitgeber.

Zuletzt sollten wir allerdings beim Thema Arbeit nochmal auf den Bundesgesetzgeber zurückkommen. An der Stelle hakt es nämlich aus meiner Sicht im Moment ein wenig. Das Bundesarbeitsministerium hat vor einigen Jahren eine große „Entgeltstudie“ in Auftrag gegeben.

In ihr sollte anhand verschiedener Aspekte beleuchtet werden, wie die Situation, vor allem der Menschen in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung, verbessert werden könnte. Es ging dabei ganz konkret um die Themen Reform des Werkstattentgeltes, Gestaltung des Zugangs zu Werkstätten, Erleichterung der Übergänge, vor allem von der Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt und Situation der Menschen in Förderstätten. Nun liegen die Ergebnisse vor – wenig überraschender Weise ohne irgendwelche Patentlösungen, gerade in der Entgeltfrage, aber doch mit interessanten neuen Erkenntnissen. Und was tut die Bundespolitik? Sie zeigt in der Frage, was sie denn nun damit anzufangen gedenkt, wenig Transparenz bzw. scheint momentan überhaupt wenig damit anfangen zu können. Das schürt, gemeinsam mit einem insgesamt offenbar wenig befriedigenden Beteiligungsprozess, die Sorge vor gesetzgeberischen Schnellschüssen und in den Werkstätten selbst wieder einmal die Angst mancher Mitarbeitenden dort vor einer abrupten Abschaffung ihrer Institutionen.

Nur zur Klarstellung: Diese Angst ist aus meiner Sicht definitiv unbegründet, da sich auch die Politik weitestgehend einig ist, dass solche radikalen Ideen wohl nicht der Weisheit letzter Schluss zur Verwirklichung echter Inklusion sind – und das gilt für mich nicht nur für den Bereich der Werkstätten.

Aber dennoch brauchen wir natürlich schnell konkrete Ideen dafür, wie die Werkstätten sinnvoll transformiert werden und gleichzeitig die Entgelt-Situation der Beschäftigten dort verbessert werden kann. Beides unter einen Hut zu bekommen ist unbestritten eine Herkulesaufgabe, die ehrlicherweise nicht kostenneutral zu haben ist. Hier ist dringend politisches Handeln von Bundesseite – aber dennoch mit Augenmaß – gefragt.

Thema Kürzungen und Sparmaßnahmen

Prognosen beim Thema Geld sind noch schwieriger als in anderen Bereichen, das wissen Sie alle genauso gut wie ich. Vorauszusagen, wie sehr genau die Menschen mit Behinderung in Bayern von Kürzungen und Sparmaßnahmen betroffen sein werden, wäre wohl der ultimative Blick in die Glaskugel und vermutlich sogar der routiniertesten Hellseherin und dem erfahrensten Wahrsager zu heikel. Ich habe bei dem Thema immer noch den Satz von Sozialministerin Ulrike Scharf bei der Eröffnung der letzten Sozialmesse „Consozial“ in Nürnberg im Ohr: „Beim Sozialen wird nicht gespart!“.

Ich nehme der Ministerin diese kämpferische Parole zwar durchaus ab, gebe aber dennoch drei Dinge in diesem Zusammenhang zu bedenken:

  1. Was dieser Satz wert ist, werden am Ende konkret die Haushaltsverhandlungen der kommenden Jahre zeigen müssen. Ich kann nur hoffen, dass die Tatsache, dass die Sozialministerin jetzt auch stellvertretende Ministerpräsidentin ist, den Stellenwert des Sozialen in den Budgetverhandlungen hebt.
  2. Selbst wenn beim „Sozialen“ insgesamt nicht gespart werden sollte, heißt das leider noch lange nicht unbedingt, dass auch bei den Menschen mit Behinderung nicht gespart wird. Diese Gruppe macht nämlich leider budgetmäßig nur einen recht kleinen Teil „des Sozialen“ als insgesamt sehr diverses Aufgabenfeld aus.
  3. In meiner Wahrnehmung sind die Menschen mit Behinderung faktisch längst von Kürzungen betroffen: Sie leiden unter dem noch immer weiterwachsenden Personalmangel überall, ja mittlerweile sogar stellenweise unter der Schließung von Angeboten. Ja, und die Kostenträger müssen schließlich auch sparen.
    Auch sie werden – zumindest nach meinem Empfinden – von daher nicht gerade großzügiger.

Soweit meine ganz persönliche Analyse zur Ressourcenlage – jetzt und in absehbarer Zukunft.

Ich kann Ihnen hier ehrlicherweise wenig versprechen – außer, dass ich mich auch in Zukunft konsequent dafür einsetzen werde, die Inklusion voranzutreiben, den ambulanten Sektor zu stärken und die Selbstbestimmung von Menschen Behinderung weiter zu fördern, wo immer es nur geht. Denn, das ist aus meiner Warte gerade auch aus personellen und finanziellen Gesichtspunkten heraus sinnvoll: Denn alles, was ein Mensch selbst kann, spart schlicht Personal UND dient der Inklusion. Aus meiner Sicht nach wie vor eindeutig eine Win-win-Situation.

Thema Bewusstseinsbildung

Beim Thema, wie kann man das Bewusstsein für Menschen mit Behinderung, für ihre Fähigkeiten, ihre Wünsche, ihre Bedürfnisse und ja, natürlich auch ihre Probleme – denn die haben wir schließlich alle – stärken - bei diesem Thema haben Sie mit mir als gelerntem Medienmann natürlich genau den richtigen gefragt. Gar nicht unbedingt deswegen, weil ich zwingend wüsste, wie man mehr Bewusstsein optimaler Weise hinkriegt.

Nein, eher deswegen, weil ich – aus eigener leidvoller menschlich-journalistischer Erfahrung sozusagen – weiß, wie mühsam und auch frustrierend es zuweilen ist, Menschen, die zu diesen Themen gar keinen persönlichen Bezug haben, solche Inhalte einigermaßen nachhaltig zu vermitteln.

Da braucht man wirklich manchmal ein sehr dickes Fell und eine wahnsinnig hohe Frustrationstoleranz.

Aber gerade vergangene Woche habe ich zu diesem Thema wieder einmal etwas gelernt. Nämlich – Sie werden jetzt vielleicht überrascht sein – beim Festakt zum Holocaust-Gedenktag im Bayerischen Landtag:

Ich möchte an dieser Stelle gerne Abba Naor zitieren, den 96jährigen Schoah-Überlebenden, der zu diesem Anlass äußerst berührend gesprochen hat. Er sagte an einer Stelle seiner Rede, wo es darum ging, wie man jungen Menschen Erlebtes näherbringen kann, das ihrer eigenen Lebenswelt völlig fremd ist, etwa sinngemäß folgenden Satz: „Erklär mir, und ich werde vergessen! Aber zeig mir, und ich werde verstehen!“.

So diametral unterschiedlich die Zusammenhänge selbstverständlich sind – die tiefe Weisheit dieses Satzes gilt meines Erachtens auch für den Kontext der Inklusion: Nicht theoretisieren ist der Weg zur Erkenntnis, sondern sich begegnen, gemeinsam erfahren und voneinander lernen. Und diese Möglichkeiten zur alltäglichen Begegnung müssen wir schaffen – so zahlreich und so niedrigschwellig wie möglich. Das schafft Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung. Und Sichtbarkeit ist das A und O und der Anfang von allem!

Hier haben natürlich alle ihre Verpflichtung – auch und gerade die Medien. Ich habe es den Verantwortlichen bei meinem langjährigen Arbeitgeber, dem Bayerischen Rundfunk, viele Jahre lang immer wieder gesagt – und selbstverständlich nicht nur ich: „Bringt mehr Menschen mit Behinderung vor die Kameras und Mikrofone, in die Redaktionen und Chefetagen – denn sie wollen dorthin und sie gehören auch dorthin!“ Wie in alle Bereiche der Gesellschaft. In die Amtsstuben, die Parlamente, die Parteien, die Unternehmen, die Kulturszene, den Sport usw. Aber auch das ist ein großer, dicker Stein, der mit stetem Tropfen gehöhlt werden muss! Und der Druck muss idealerweise von allen Seiten gleichzeitig kommen! Also von uns allen!

Auch Ihre Wanderausstellung „Miteinander – Inklusion in Bayern“ ist sicher ein prima Weg, mehr Bewusstsein zu schaffen für Menschen mit Behinderung. Besonders wichtig dabei aus meiner Sicht: Ein möglichst positiver Ansatz: Es geht beim Thema Behinderung nicht so sehr um Leid oder Mitleid, es geht um Fähigkeiten und Potenziale. Es geht um Gemeinsamkeiten, nicht um Unterschiede. Es geht um Vielfalt, nicht um Gleichmacherei. Kurz: Es geht um das, was Menschen mit und ohne Behinderung zur Gesellschaft beitragen können – und wollen.

Thema SGB VII-Reform

Zum Schluss möchte ich gerne noch zwei weitere Themen anbringen, die mich und uns alle in den kommenden Monaten und Jahren wohl oder übel noch sehr beschäftigen werden. Das erste davon ist die SGB VIII-Reform. Man mag vom Ansatz des Bundesgesetzgebers an dieser Stelle halten, was immer man möchte – ich persönlich finde ihn nach wie vor richtig. Denn: Auch Kinder und Jugendliche mit Behinderung sind zuerst Kinder und Jugendliche – deshalb gehören sie aus meiner Sicht auch in die Zuständigkeit der Jugendämter. Aber, selbst wenn man diese Frage grundlegend anders beurteilt: Fest steht aus meiner Sicht in jedem Fall, dass sowohl Reformbedarf innerhalb als auch erhöhter Kooperationsbedarf zwischen den beiden Systemen – also Jugendhilfe und Eingliederungshilfe – besteht. Und klar ist auch, dass der Stillstand, der sich gerade wieder in dieser Frage breitmacht, am Ende wohl allen Familien schadet – egal, ob ihr Kind, ihre Kinder eine Behinderung haben oder nicht. Wir können natürlich alle miteinander weiter über den Bund klagen und auf klarere Vorgaben warten. Oder wir können gemeinsam versuchen, eine eigene Idee zu entwickeln, wie es besser – oder von mir aus auch NOCH BESSER zusammen funktionieren kann! Mich würde deshalb zum Beispiel in der anschließenden Diskussion interessieren, wie viele Verfahrenslotsen es in Ihrer Region bislang gibt und wo und wie die jeweils verankert sind?

Ich möchte einfach lieber Beispiele sammeln, wo schon was funktioniert, anstatt mich nur immer beklagen zu müssen! Entschuldigen Sie bitte vielmals diesen leidenschaftlichen Exkurs, aber das musste ich an dieser Stelle einfach mal loswerden! Danke.

Thema politische Teilhabe

Gerade in gesellschaftlich nicht immer einfachen und oft angespannten Zeiten ist es für mich ganz besonders wichtig, dass auch Menschen mit Behinderung auf allen Ebenen am politischen Diskurs beteiligt sind. Das erfordert einerseits Mut auf Seiten der Menschen mit Behinderung. Ihnen möchte ich heute zurufen: „Sagt Eure Meinung – zu allen Themen! Seid laut! Geht in die Mitte der Gesellschaft! Zeigt Euch! Ihr seid schließlich etwa zehn Prozent der Bevölkerung!“

Politische Teilhabe von Menschen mit Behinderung braucht aber auch die Offenheit der gesamten Gemeinschaft. Öffnen Sie die Parteien, Vereine, Institutionen und öffentlichen Einrichtungen der Region also bewusst und konsequent für Menschen mit jeglicher Behinderung! Das heißt natürlich zu allererst – und damit bin ich wieder am Beginn meiner Ausführungen – machen Sie sie so gut wie möglich barrierefrei.

Denn: Natürlich kann und muss der Staat die Rahmenbedingungen dafür schaffen und auch an vielen Stellen finanziell helfen – aber wachsen muss das Bewusstsein und die Überzeugung, dass Inklusion richtig und wichtig ist, am Ende aus der Gesellschaft heraus! Und ich bin in meinem Amt als Beauftragter eine Brücke zwischen Ihnen und der Politik auf diesem Weg zu mehr Inklusion in allen Bereichen! Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich jetzt auf den Austausch mit Ihnen!

Inhalt zuletzt aktualisiert am: 15.02.2024