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Der Wandel eines fortschrittlichen Psychiaters zum Massenmörder

Der Wandel eines fortschrittlichen Psychiaters zum Massenmörder

Von: PS

Vor der Info-Tafel über das NS-Opfer Ernst Lossa diskutieren (von links) der Stellvertreter des Landrats Helmut Koch, Psychiater Dr. Michael von Cranach und der Gesamtleiter von Regens Wagner Lautrach Beppo Haller mit Besucher der Ausstellung „In Memor

Den Zuhörern sträuben sich die Haare, als Günter Schwanghart seiner Klarinette voller Inbrunst schaurig-schiefe Töne entlockt. Dann wird die Musik wieder leiser, harmonischer - wie die Geschichte von Regens Wagner Lautrach. In 125 Jahren gab es neben harmonischen Zeiten auch eine Phase, in der einige Ärzte und Psychiater auf die schiefe Bahn gerieten. Auf diese Jahre während des Dritten Reichs wollte Gesamtleiter Beppo Haller ein besonderes Augenmerk legen und holte die Ausstellung „In Memoriam“ ins Foyer des Landratsamts Unterallgäu. Diese dokumentiert die Euthanasie im Nationalsozialismus.

Bei der Ausstellungseröffnung erinnerten die Redner daran, wie Ärzte im Dritten Reich psychisch Kranke und Menschen mit Behinderung systematisch töteten und lebensgefährliche Versuche an ihnen durchführten. Von diesen Grausamkeiten blieben auch die Pfleglinge von Regens Wagner Lautrauch nicht verschont. Interne Recherchen haben laut Haller ergeben: Als die Einrichtung in Lautrach von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurde, wurden die Pfleglinge zum Teil nach Kaufbeuren verlegt. „57 der zwangsverlegten Frauen wurden schließlich in Hartheim bei Linz mit Gas getötet.“ Später wurde in Lautrach eine Lungenheilanstalt eingerichtet. Dort praktizierte Dr. Georg Hensel. Er hatte im Dritten Reich tödliche TBC-Versuche an behinderten Kindern durchgeführt. „Belangt wurde er dafür nie“, so Haller.

Dr. Michael von Cranach, ehemaliger ärztlicher Direktor des Bezirkskrankenhauses in Kaufbeuren, hat sich intensiv mit der Rolle der Psychiatrie im Dritten Reich befasst und die Ausstellung „In Memoriam“ konzipiert. In seinem Vortrag zeichnete er anschaulich am Beispiel von Valentin Faltlhauser die Wandlung eines fortschrittlichen Psychiaters zum Mörder nach. Faltlhauser war während des Nationalsozialismus Direktor des Bezirkskrankenhauses - also ein Vorgänger des Redners. Von Cranach beschrieb ihn als Befürworter der offenen Fürsorge, die den Menschen in den Mittelpunkt stellte. Doch nach und nach verinnerlichte Faltlhauser das nationalsozialistische Gedankengut, bis er schließlich das erste behinderte Kind umbrachte und unter anderem zum Mörder von Ernst Lossa wurde. Lossa, ein jenischer Junge, ist inzwischen eine Symbolfigur für die grausame Euthanasie im Dritten Reich geworden. Auch seine Geschichte erzählt die Ausstellung.

Von Cranach erklärte, die Psychiater begründeten ihr Handeln damals biologisch. Sie seien der Meinung gewesen, die Menschen seien eben nicht alle gleich; Es gebe gute und schlechte Gene. Ausschlaggebend für die Entscheidung „lebenswert oder nicht lebenswert“ sei die Arbeitsfähigkeit gewesen. „Euthanasie im Dritten Reich war keine Erlösung, sondern eine Entmenschlichung“, so von Cranach.

Helmut Koch, Stellvertreter des Landrats, hatte zuvor in seiner Begrüßungsrede den Bogen zur heutigen Zeit gespannt. „In Deutschland gehen wir vorsichtiger mit dem Thema Sterbehilfe um als unsere Nachbarländer - und das ist gut so.“ Die Ereignisse des Dritten Reiches dürften sich nie wiederholen, so Koch.

Die Ausstellung „In Memoriam“ im Foyer des Landratsamts Unterallgäu ist noch bis Freitag, 10. Oktober, zu sehen. Geöffnet ist Montag bis Donnerstag von 8 bis 17.30 Uhr und freitags von 8 bis 12 Uhr. Die Ausstellung eignet sich auch für Schulklassen. Mehr erfahren Sie auch unter <link internal link in current>www.unterallgaeu.de/ausstellungen

Inhalt zuletzt aktualisiert am: 09.10.2024