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Großes Interesse an Vortrag über Arzt-Patienten-Beziehung

Großes Interesse an Vortrag über Arzt-Patienten-Beziehung

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Dr. Matthias Neff referierte im Landratsamt über die Arzt-Patienten-Beziehung im Wandel der Zeit. Foto: Rita Heidorn/Landratsamt Unterallgäu

Die Arzt-Patienten-Beziehung im Wandel der Zeit war jetzt Thema des aktuellen Vortrags der Reihe „… und jetzt erst richtig“ des Gesundheitsamts am Landratsamt Unterallgäu. Der Vorsitzende des Ärztenetzwerks Unterallgäu, Dr. Matthias Neff, beleuchtete dabei zunächst historisch-wissenschaftliche Aspekte, bevor er auf den aktuellen Praxis- und Klinik-Alltag einging. Über 70 Interessierte kamen ins Landratsamt.

Wie der Mediziner ausführte, sei der Eid des Hippokrates bis heute von großer bleibender Bedeutung - oberstes Gebot sei dabei das Wohl des Patienten. Platon, Aristoteles, Paracelsus, philosophische, religiöse und politische Entwicklungen hätten immer wieder die Medizinethik unterschiedlich beeinflusst; besonders negativ in der Zeit des Nationalsozialismus. Er selbst sei von seinem Vater Dr. Lothar Neff sehr geprägt worden, so der Mediziner. Dieser habe ihm - geprägt von seinen Erfahrungen in Stalingrad - ein ethisch-moralisch hochstehendes Arzt-Ideal vorgelebt.

Einiges verändert habe sich in den vergangenen Jahren in der Arzt-Patienten-Beziehung: Sei die Beziehung zwischen Arzt und Patient noch bis etwa 1980 sehr paternalistisch bestimmend gewesen, so gelte heute das Konzept des „informed consent“, wonach der fürsorgliche Arzt dem Patienten ein Konzept vorschlägt, in das der Patient aus freien Stücken und selbstbestimmend handelnd nach gründlicher Aufklärung einwilligt. Als wichtigsten Baustein der Arzt-Patienten-Beziehung bezeichnete Neff das Vertrauensverhältnis. Grundbedingungen seien gegenseitige Wertschätzung und Achtung, Anteilnahme und qualitativ hochwertige, menschliche Kommunikation, sowie Wahrung der Schweigepflicht. Das so genannte „Pay for Performance“ - also ein industrielles, wirtschaftlich geprägtes Leistungsdenken nach dem Motto „Je besser die Blutzuckerwerte, umso besser das Honorar“ - sei problematisch und vertrauensbelastend. „Welcher Patient würde dem Arzt noch ehrlich erzählen, dass er raucht, wenn er befürchten müsste, dass sein Krankenkassenbeitrag dann steigt?“, so Neff.

Im zweiten Teil seines Vortrags analysierte der Internist, Kardiologe und Angiologe mit Praxen in Mindelheim und Bad Wörishofen die aktuelle Situation im Praxis- und Klinikalltag. Hier sei der Chefarzt zunehmend vom wirtschaftlichen Erfolg seiner Abteilung abhängig. Nicht umsonst machten sich viele Klinikärzte, Schwestern und Pfleger Sorgen, dass im Rahmen einer Privatisierung ökonomische und kommerzielle Interessen der Aktionäre vor karitativ-medizinisch-ethischen Aspekten dominieren könnten. Eine Trennung der Sektoren ambulant-stationär macht laut Neff durchaus Sinn, wenn jeweils die Ebene, die nicht profitiert, die nächsthöhere kontrolliert. Als „bewährtes System“ bezeichnete Neff es, dass der Hausarzt zum Facharzt überweist und der ins Krankenhaus, wobei sich die Ärzte dort in erster Linie um die stationären Schwerkranken kümmern sollten. Für den niedergelassenen Arzt seien Unabhängigkeit und Freiberuflichkeit ebenso wichtig, wie für den Patienten die freie Arztwahl. „Der Patient kann sich heute noch den Arzt seiner Wahl aussuchen“, so Neff. „Unfreundliche, unmotivierte, schlechte Ärzte haben leere Praxen. Dies ist die beste Form des Wettbewerbs, denn der Patient steht hier im Mittelpunkt.“

Ein belastendes Problem für die Arzt-Patienten-Beziehung stelle die Budgetierung dar, so der Vorsitzende des Ärztenetzwerks. Jeder Patient wisse und spüre, dass der Arzt sparen müsse. So befürchte dieser, ihm würden möglicherweise im Rahmen einer Billigmedizin Leistungen vorenthalten. Allerdings seien die Budgets auch deshalb so niedrig, weil zu viel Geld in medizinfremde Leistungen wie etwa Computer, IT, elektronische Versicherungskarte, Verwaltung oder Qualitätskontrolle abfließe.

Kritisch sieht Neff das Projekt Arztnavigator. Danach sollen demnächst die Krankenkassen-Versicherten Ärzte im Internet beurteilen und ihnen online Zeugnisse ausstellen können. Abgesehen von den hohen Kosten werde solch ein Unterfangen dem Ethos des Arztes nicht gerecht und sei auch nicht mit der Unabhängigkeit seiner Stellung etwa als Gutachter vereinbar. Auch Richter, Pfarrer und Notare würden sich nicht öffentlich in solcher Form beurteilen lassen. Das Arzt-Patientenverhältnis werde so zu einer Geschäftsbeziehung mit Kundenbefragung herabgewürdigt. Dem Patienten werde Anonymität zugesichert, der Arzt dagegen werde öffentlich zensiert und könne sich nicht wehren. Die Abwanderung der jungen deutschen Ärzte ins Ausland, wo sie willkommen seien, werde so sicher nicht aufgehalten.

Zusammenfassend zog Neff das Fazit, dass sich vor dem Hintergrund der NS-Verbrechen nach dem Krieg eine neue Ethik in der Medizin mit hohen moralischen Maßstäben für die Ärzte, aber auch einem hohen Maß an ärztlicher Unabhängigkeit und Freiheit etabliert habe. Die Ärzte in Klinik und Praxis aus der Generation seines Vaters hätten damals freier, mehr nach ihrem ärztlichen Gewissen handeln, und sich viel mehr nur ihren Patienten widmen können. Hier sei eine Rückbesinnung erforderlich. Gefahr drohe vor allem von einer zunehmenden bürokratischen Planwirtschaft und vom Vordringen profitorientierter Aktienkonzerne in den stationären, neuerdings aber auch in den ambulanten Bereich. Deshalb seien die ärztliche Unabhängigkeit und Freiberuflichkeit ebenso wie die Ethik der Väter und die freie Arztwahl des Patienten ein hohes, unbedingt erhaltenswertes Gut.

Trotz aller Angriffe sei das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient gut: „Dies liegt vielleicht daran, dass der Patient spürt, dass der Arzt es von allen Playern im Gesundheitswesen wirklich gut meint und weil er weiß, wie wichtig in der Arzt-Patienten-Beziehung die ethische Komponente ist.“ Es gelte aber, diese wertvollen Werte auch für die nähere und fernere Zukunft zu bewahren.

Inhalt zuletzt aktualisiert am: 04.07.2024